1867 -
München
: Königl. Central-Schulbücher-Verl.
- Autor: Marschall, Georg Nicolaus
- Hrsg.: ,
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrerbuch
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten, Fortbildungsschule, Präparandenschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten, Niedere Lehranstalten, Lehrerbildungsanstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Gewerbeschule, Handelsschule, Landwirtschaftsschule, Präparandenanstalt, Mittelschule
- Regionen (OPAC): Bayern
141. Andreas Hofer und der Aufstand in Tirol.
305
jetzt aber mußten sich solche Gefühle
tief im Innern bergen, denn wer es
wagte, sie laut werden zu lassen, verfiel
der Rache des corsischen Cäsaren, wie
das Beispiel des Buchhändlers Palm
von Nürnberg beweis't. Dieser hatte
eine Flugschrift verlegt, welche über
Deutschlands tiefe Erniedrigung klagte
und das alte Freiheitsgefühl in den
Deutschen zu wecken suchte. Der Mann
mit dem deutschen Herzen ward in sei-
ner Heimatstadt von französischen Gens-
d'armen verhaftet, vor ein ftanzösisches
Kriegsgericht in Braunau gestellt, und
weil er den Verfasser der Schrift nicht
nannte, — standrechtlich erschossen.
Aber noch war das Maß des Elends
nicht voll. Immer noch schienen Preu-
ßen und Oesterreich dem Gewaltherrn
an der Seine zu mächtig und mithin
gefährlich. Im Feldzuge von 1806 und
1807 demüthigte er auch Preußen und
im Jahre 1809 brach er den Rest von
Oesterreichs Macht. So hatte er ganz
Deutschland niedergeworfen, und seine
Uebermacht schien besiegelt für alle Zei-
ten. Das Land war unter der Geißel
fortwährender Kriege ausgesaugt, das
Volk niedergetreten, entmuthigt. Es
trug seine Ketten knirschend, grollend,
aber wagte kaum daran zu rütteln,
denn nirgends leuchtete ein Stern der
Hoffnung.
Ganz Deutschland, ja Europa, war
einem großen Friedhofe zu vergleichen,
in dem die Unabhängigkeit und Freiheit
der Völker begraben lag.
„Du Land der Eichen, wo das Ja ertönet,
Germania, mein herrlich Vaterland,
Du Rächerin, wie liegst du da verhöhnet,
Du Kriegcrin, wie bückst du abgewandt!
Du, die die Schmach der alten Welt versöhnet,
Die einen Weg zu Roma's Schicksal fand,
Du Pflegerin des Tapfern und des Guten,
Weinst Thränen in des fremden Rheines Flu-
then!"
(E. M. Arndt.)
141. Andreas Hofer und der Anfstand in Tirol.
Noch vor den Schlachten von Aspern
und Wagram war im Lande Tirol durch
die österreichischen Bevollmächtigten Cha-
steller und Baron Hormayr der Volks-
aufstand zu Gunsten des Kaiserhauses
vollständig eingerichtet worden; der Haß
gegen Bayern war durch die wenn auch
wohlgemeinten Neuerungen des Königs
Maximilian, durch Willkür der fremden
Beamten, besonders aber dadurch noch
gesteigert worden, daß sogar der Name
Tirol aufgehoben und das Land „Süd-
bayern" genannt wurde. Die Häupter
des Volksaufstandes waren Andreas
Hofer von Passeier, ein schlichter,
frommer Mann aus dem Volk, und
von diesem hochgeehrt; zwar beschränkt
von Einsichten, aber treu wie Gold,
kräftig von Gliedern und stattlich von
Ansehen mit seinem schwarzen Bart;
im unteren Innthal Speckbacher, der
beste Schütze weit und breit, verwegen
zu jeder großen That und meisterlich
klug. Und bald hatte ganz Tirol die
bayerisch-französische Herrschaft abgeschüt-
telt. Nun schickte Napoleon den Mar-
schall Lefebvre mit vielem Kriegsvolk
Marschall, Lesebuch.
in's Land Tirol. Da verlor Chasteller
den Muth; die Franzosen und Bayern
drangen ein, gewannen einige Vortheile
und mißhandelten die Tiroler, wo sie
deren habhaft wurden, mit der unmensch-
lichsten Grausamkeit. In dieser Noth
ließen Chasteller und Hormayr die braven
Tiroler im Stich und flüchteten. Da be-
riefen Hofer und Speckbacher alles Volk
auf den Berg Jsel bei Innsbruck, und
ein Kapuziner, Namens Haspinger,
kam auch dazu, ein Mann, mehr zum
Feldherrn als zum Mönch erschaffen.
Nun begann am Berg Jsel ein langer,
furchtbarer Kampf des Volkes gegen die
Landesfeinde. Der Speckbacher verlegte
ihnen den Weg bei Hall. Er hatte einen
jungen Sohn Andreas, der „Ändert"
genannt; der Knabe folgte ihm lustig
in's Gefecht und weil er selber nicht
mitfechten durfte, so grub er keck die
feindlichen Kugeln aus >der Erde heraus,
wo sie eingeschlagen, sammelte sie in
seinem Hütlein und brachte sie seinem
Vater. Die Feinde erlitten ungeheuren
Verlust, während die Tiroler gap frisch
und wohlgemuth auf den heimischen
20
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- Autor: Marschall, Georg Nicolaus
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- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten, Fortbildungsschule, Präparandenschule
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- Schulformen (OPAC): Gewerbeschule, Handelsschule, Landwirtschaftsschule, Präparandenanstalt, Mittelschule
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282
Id. Geschichtsbilder.
stand der Kirchenzucht in Bayern schil-
derte und im Namen seines Herrn Ver-
besserung und Abhilfe verlangte.
Die Beschlüsse des Concils stellten
den katholischen Lehrbegriff fest, schafften
vorhandene Mißbräuche ab und bezweck-
ten dadurch eine nothwendige und wohl-
thätige Reform in der katholischen Kirche.
Aber die von Vielen gehoffte Ver-
söhnung der verschiedenen Religionspar-
theien war leider nicht zu Stande ge-
kommen. Die Protestanten hatten die
Versammlung gar nicht besucht. Die
neuen Lehren wurden als Irrlehren er-
klärt und vom Concilium verdammt.
Somit war die in ihren Folgen für
unser deutsches Vaterland so unheilvolle
Kirchentrennung vollzogen.
Herzog Albrecht suchte den Entschei-
dungen des Concils in seinem Lande
mit aller Entschiedenheit Geltung zu
verschaffen, doch mehr mittels Milde
gewinnend, als mittels Gewalt erzwin-
gend; beflissen, durch Hebung der Kirchen-
zucht und des Unterrichtes die kirchlichen
Mißstände zu beseitigen und die Wan-
kenden im Glauben zu befestigen.
Die Ritterschaft namentlich war der
neuen Lehre ergeben und nicht so leicht
zur Rückkehr zur alten Kirche geneigt.
Einige verschworen sich zu einem Auf-
ruhr, warben zu diesem Zwecke auswärts
Kriegsvölker, ja sie sollen sogar einen
Anschlag wider des Herzogs Leben ge-
faßt haben. Dieser, noch rechtzeitig von
dem Plane unterrichtet, ließ die Schul-
digen vor sich rufen. Ihr Vergehen
132. Der Ansbruch des
Seit dem Augsburger Religions-
frieden war der Zwiespalt der Partheien
in Deutschland nicht geschlichtet, nein,
fortwährend gewachsen, der Hader täg-
lich bitterer geworden, und die gewaltige
Gährung der widerstrebenden Leiden-
schaften näherte sich ihrem Ausbruche.
Endlich erhob sich der längst gefürchtete
Krieg, schrecklicher, anhaltender, als die
schwärzeste Ahnung geweissagt. In
Böhmen entlud sich das Gewitter _ zu-
erst. Dort boten die Religionsstreitig-
keiten der seit den Hussitenkriegen zwar
lag offen, ihr Leben in des Fürsten
Hand. Doch dieser verzieh ihnen und
ließ sie ungestraft, ja er tilgte sogar
ihre Namen, damit kein Makel auf ihre
Nachkommen übergehe. Nur ihre Sie-
gelringe zerbrach er.
Wie kein Fürst Bayerns vor ihm
war er ein Freund der Wissenschaften
und Künste. Die Universität Ingolstadt
war zu seiner Zeit die vornehmste im
katholischen Deutschland, und durch wohl-
thätige Stiftungen erleichterte der Herzog
armen Studirenden den Zutritt zu der-
selben. In seiner Umgebung hatte er
immer geistreiche Männer, lag selbst
fleißig den Studien ob, legte den Grund
zur Hofbibliothek und forschte selbst gerne
in alten Schriften und Büchern. Her-
vorragende Meister der Künste: Maler,
Bildhauer und Musiker, unter letzteren
der berühmte Orlando Lasso, lebten an
seinem Hofe, der an Glanz und Aufwand
alle übrigen in Deutschland überstrahlte.
Freilich forderte dieser Aufwand große
Summen und die Stände erhoben Klage
wegen zu hoher Steuern, die den Säckel
des Landmannes leerten und über das
viele Wild, welches die Saaten zerfräße.
Indessen suchte Albrecht Abhilfe zu
gewähren; immerhin aber erwies er sich
wohlthätig für gemeinnützige Zwecke,
und war besonders freigebig gegen die
Armen.
So herrschte Albrecht, allgemein ge-
liebt, in gefährlichen Zeiten 30 Jahre
in Frieden über Bayern, das ihn mit
Recht den Großmüthigen nennt.
dreißigjährigen Krieges.
unterworfenen, aber noch fortwährend
grollenden und im Stillen rührigen slavo-
czechischen Parthei eine willkommene Ge-
legenheit, das Haupt auf's Neue zu er-
heben und der deutschen Herrschaft sich
zu entziehen.
Die Spannung der Partheien war
dort auf den höchsten Grad gestiegen,
und es bedurfte nur eines verhältniß-
mäßig geringen Anlasses, um das unter
der Asche glimmende Feuer zu verzeh-
render Gluth anzufachen. Diesen Anlaß
gab der Bau der protestantischen Kirchen
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132. Der Ausbruch des dreißigjährigen Krieges.
283
zu Klostergrab und Braunau. Der Erz-
bischof von Prag, dem das Städtchen
Klostergrab zugehörte, und der Abt von
Braunau erhoben Einsprache gegen die
Errichtung dieser Kirchen. Die Sache
kam vor den Kaiser Mathias, und dieser
entschied, daß der Bau zu unterbleiben
habe. Da sich aber die Protestanten
daran nicht kehrten, so ließ der Prager
Erzbischof die Kirche zu Klostergrab
schließen und später niederreißen; der
Abt von Braunau ließ die neuerbaute
Kirche in seiner Stadt ebenfalls schließen.
Die protestantischen Stände erblickten
hierin eine Verletzung des sogenannten
Majestätsbriefes Rudolfs Ii., erhielten
aber wegen dieses Beschlusses einen kai-
serlichen Verweis und wurden mit stren-
ger Untersuchung und Strafe bedroht.
Noch wirkten einige Umstände mit, die
Erbitterung der Protestanten auf's höchste
zu steigern. Im Jahre 1617 war das
Reformationsjubiläum in Böhmen fest-
lich begangen worden, und es hatte durch
diese Feier der konfessionelle Zwiespalt
neue Nahrung erhalten. In demselben
Jahre hatte der Kaiser Mathias die
Verwaltung von Böhmen zehn Statt-
haltern übertragen, von denen sieben
katholisch waren. Unter den letzteren
befanden sich zudem zwei bei den Pro-
testanten besonders verhaßte Männer,
die Grafen Martinitz und Slawata. Es
verbreitete sich nun das Gerücht, der
kaiserliche Befehl sei von den Statt-
haltern gefälscht worden. Am 23. Mai
1618 drang eine Deputation der pro-
testantischen Stände in die Kanzlei des
kaiserlichen Schlosses zu Prag, dessen
Zugänge von bewaffneten Haufen be-
setzt wurden. An der Spitze dieser De-
putation stand der Graf Matthias von
Thurn, der, obwohl ein Deutscher, seit
seiner Entsetzung von dem einflußreichen
Burggrafenamte sich enge an die czechische
Parthei angeschlossen hatte und eines
ihrer thätigsten Häupter war. Dieser
sprach zu den Seinen, nie sei Hoffnung,
die Religionsfreiheit dauernd zu begrün-
den, so lange Martinitz und Slawata
lebten; man müsse sie also tödten, jetzt,
auf der Stelle. Diese Aufforderung
verfehlte ihre Wirkung nicht. Wenzel
von Rampora rief: „Werft sie nach alt- !
böhmischen Gebrauche zum Fenster hin-
aus!" worauf Wilhelm von Lobkowitz
den Martinitz umfaßte, zum Fenster
drängte, und von einigen anderen unter-
stützt, ihn ungeachtet seines Flehens
hinunter stürzte. Darauf folgte plötz-
liche Stille, da selbst die Thäter über
ihre That erschraken. Thurn rief, auf
Slawata deutend: „Edle Herren, hier
habt ihr den anderen!" Darauf mußte
auch Slawata den unfreiwilligen Sprung
aus dem Fenster machen, und ihm wurde
noch der Geheimschreiber, Philipp Fabri-
cius Platter, nachgesandt. Die Höhe
bis zum trockenen Schloßgraben maß
an 50 Fuß. Doch kamen alle drei mit
dem Leben davon; nur Slawata erhielt
eine Verletzung am Kopfe. Nach dieser
Gewaltthat mußten die protestantischen
Stände weiter gehen, wenn sie nicht
strenge Strafe auf ihre Häupter laden
wollten. Sie rissen die Regierung an
sich und einigten sich in der Wahl von
30 Direktoren, zugleich warben sie ein
Heer und stellten an dessen Spitze den
Grafen von Thurn.
Als im folgenden Jahre Kaiser
Matthias starb, kündigten die Böhmen
dem Hause Habsburg gänzlich den Ge-
horsam auf und wählten den jungen
Kurfürsten Friedrich V. von der Pfalz,
das Haupt der protestantischen Union,
zu ihrem Könige, in der Hoffnung, durch
die Unterstützung der Union sich gegen
die Macht Habsburgs halten zu können.
Kurfürst Friedrich schwankte, ob er die
Wahl annehmen solle oder nicht. In
seinem geheimen Rathe wurden mehr
Gründe gegen, als für die Annahme
vorgebracht. Seine Mutter, Wilhelms
von Oranien Tochter, bat ihn thränen-
den Auges, die Krone zurück zu weisen.
Für die Annahme suchten ihn zu be-
wegen Christian von Anhalt und seine
stolze Gemahlin Elisabeth, Tochter des
Königs Jakob I. von England. Sie
soll zu ihm gesagt haben, warum er
nicht den Muth habe, nach einer Königs-
krone zu greifen, nachdem er eine Kö-
nigstochter gefreit! Friedrich entschied sich
für Annahme; seine Mutter aber sagte
ihm, als er Heidelberg verließ, prophe-
tischen Blickes: „Sohn, du trägst die
Pfalz nach Böhmen!" —
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344
Iv. Naturbilder.
hast anzuhören sind die Lobeserhebun-
gen, welche dem edlen Pferde gespendet
werden. „Sage mir nicht, daß dies
Thier mein Pferd ist, sage, daß es
mein Sohn ist! Es läuft schneller wie
der Sturmwind, schneller noch, als der
Blick über die Ebene schweift. Es ist
rein, wie das Gold. Sein Auge ist
klar und so scharf, daß es ein Härchen
im Dunkeln sieht. Die Gazelle erreicht
es im Laufe. Zu dem Adler sagt es:
Ich eile, wie du dahin! Wenn es das
Jauchzen der Mädchen vernimmt, wiehert
es vor Freude, und an dem Pfeifen
der Kugeln erhebt sich sein Herz. Aus
der Hand der Frauen erbettelt es sich
Almosen, den Feind schlägt es mit dem
Hufe in's Gesicht. Wenn es laufen
kann nach Herzenslust, vergießt es Thränen
aus seinen Augen. Ihm gilt es gleich,
ob der Himmel rein ist, oder der Sturm-
wind das Licht der Sonne mit Staub
verhüllt; denn es ist ein edles Roß,
welches das Wüthen des Sturmes ver-
achtet. In dieser Welt gibt es kein
zweites, welches ihm gliche. Sein Schritt
ist so sanft, daß du im vollsten Laufe
eine Tasse Kaffee auf seinem Rücken
trinken kannst, ohne einen Tropfen zu
verschütten. Es versteht Alles, wie ein
Sohn Adams, nur daß ihm die Sprache
fehlt." Dem Fremden überläßt der edle
Araber sein Roß um keinen Preis.
Einen Dieb verfolgt er so lange, als
er kann, bis in das Herz des feind-
lichen Stammes hinein; doch gilt ihm
die Ehre des Pferdes über Alles: man
erzählt, daß ein Araber den Dieb, welcher
ihn um die beste Stute bestahl, darauf
aufmerksam machte, wie er das edle
Thier zum vollsten Laufe bringen könne,
damit dieses den Ruhm behalte, unter
allen Pferden das schnellste zu sein.
157. Das Reh.
Es ist ein gar schönes Thier, das Reh.
Alles an ihm hat vollkommenes Eben-
maß. Der Wuchs ist zierlich. Schlanke
Beine tragen den wohlgebauten Körper,
dessen ganze Haltung etwas Angenehmes,
Lebhaftes hat. Der kleine Kops mit
großen, runden Augen und zugespitzten
Ohren endet in einer stmnpfen Schnauze
und ist bei dem Männchen mit einem
kurzen Geweih geschmückt.
So lieb, wie die äußere Erscheinung,
ist auch das Zusammenleben dieser Thiere.
Es gibt nicht leicht ein reizenderes Schau-
spiel, als, im Buschwerk verborgen, dem
Azen einer Rehfamilie zuzusehen. Eine
Waldwiese mit ihren gelben und blaß-
rothen Blumen, eingefriedigt zwischen
breitästigen Buchen, deren Stämme sich
zwischen Faulkirschen und Haselstauden
verlieren; tiefer, flüsternder Schatten auf
der einen Seite, wo der Kukuk den Abend
herausruft; gegenüber ein grüner, safti-
ger Sonnenblick, und darüber ein blauer,
tiefer Himmel mit einzelnen leichten Wölk-
chen angehaucht: das ist das Bild einer
deutschen Waldstille. Man liegt still-
träumend im Hag, am Rande auf einer
Matte von Quendel; — da ertönt ein
eigenthümliches Pfeifen. Kleines Gezweig
knackt, die Blätter rauschen, und zwischen
den Gebüschen streckt sich ein gekröntes
Haupt hervor, das mit glänzenden Augen
die Wiesen und Hecken durchspäht. Man
hält den Athem zurück und lauscht. —
— Nun setzt der Bock mit einem weiten
Bogensprunge, das Geweih an den Nacken
zurückgelegt, über den Graben, sieht sich
nochmals, aber keck und frei um — wie-
der ertönt jenes Pfeifen, und im Augen-
blicke erscheinen die beweglichen Sterne,
die drüben hinter den Blättern geleuchtet,
hart am Graben. Das kleine gesprenkelte
Kitzchen zagt vor dem Satze, es sucht in
den Graben hinunter zu klimmen und
mißt ängstlich die Tiefe. Aber der Vater
wendet den Kops zurück, das kleine Ding
faßt Muth, springt, schwebt langgedehnt
in der Luft und — gleitet aus den Knieen
in die Blumen. Es klagt; die Mutter
fliegt über das Hinderniß und ist im Nu
an der Seite des Kleinen. Sie wechseln
einen Blick, das Kitzchen springt auf und
umkreist schäkernd und neugierig die Alten.
Es schnüffelt an den Blumen herum, ver-
sucht auch wohl ein Blatt Sauerampfer zu
kosten, aber die Speise behagt ihm noch
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346
Iv. Natnrbilder.
umher, wirft sie weg, schlägt dann und
wann einen linkischen Purzelbaum. Der
Alte aber sieht auf die zwei anderen
hoffnungsvollen Jungen, in denen das
väterliche Talent schon mehr sich offen-
bart. Sie haben das leise horchende
Mäuschen erspäht und das flüchtende
im Wettsprunge gefangen. Mit muth-
williger Lust werfen sie es, einer dem
andern zu, bis sie, des Spieles satt, es
dem jüngsten überlassen. Nun gilts,
ein Nest zu spüren, eine Grasmücke zu
beschleichen, den schlüpfrigen Frosch zu
packen, es wird wohl auch der Palast
eines Erdwespenstammes durchstöbert,
denn die Zunge der leckern Bürschchen
will eben Alles erproben.
Endlich tritt auch die Mutter aus
dem Erdgeschoß und der alte Fuchs
erinnert sich, daß es Zeit sei, seinen
Pflichten als Ernährer der Familie
nachzugehen. Er macht sich auf; aber
er eilt mit Weile. Gelassen schlendert
er, den Schweif schleppend, durch Busch
und Kraut, immer querfeldein. Bald
ist er mitten im Waldbann. Er schleicht
langsamer, leiser, vorsichtiger. Der Abend
haucht kühl aus Halm und Blatt; die
Bäume heben ihre Wipfel regungslos
in die Stille; nur die Vogelkehlen sind
noch laut. Die Drossel lockt mit hellem
Ton, die Meise schlüpft von Busch zu
Busch, der Waldzimmermann Specht
hackt und hämmert am Eichenstumpf,
dazwischen kreischt der Häher und dann
ist auf einmal Alles still und nur der
melancholische Ruf des Wiedehopfs stöhnt
aus dem Schooß der grünen Einsamkeit.
Reinecke ist am Rande der grünen
Waldwiese angekommen. Er lauscht vor-
sichtig. Jetzt knackt es in den Zweigen.
Der Fuchs spitzt das Ohr. Ein Pfeifen
läßt sich hören: da tritt das Reh heraus,
das Haupt spähend emporgerichtet, die
Augen nach allen Seiten rollend. Wie- I
der pfeift es, und in munterem Sprunge
ist das Kitzchen der Mutter zur Seite.
In den drolligsten Sätzen tändelt es
um dieselbe, ein Kraut, ein Blatt im
Fluge abstreifend und dann sich nieder-
werfend, um zu saugen. Die Rieke
leckt ihm kosend den Nacken. Plötzlich
hebt sie ihren Kopf. Ihre Lichter fun-
keln, ein Zittern fliegt über die Flan-
ken, sie macht ein paar Sprünge und
stampft zornig mit den Läufen. Es ist
klar, sie hat den Räuber gewittert. Der
hat sich leisen Schrittes herangestohlen,
sacht, sacht, das Kitzlein unverrückt im
Auge. Es gilt einen kühnen Griff.
Wenn ihm nur nicht die Alte soeben
den Weg verrannt hätte! Aber Reinecke
läßt sich nicht irren; er thut, als sei
er in liefen Gedanken. Keine Miene
verräth, daß er der Beute ansichtig
geworden; wie träumerisch starrt er in's
Blaue. Er verschwindet, um in weitem
Bogen den Angriff von der andern
Seite zu versuchen. Allein die wach-
same Alte drängt sich dicht an das
Junge, denn sie kennt des Rothen Arg-
list. Endlich ist er doch dem Ziele
seiner Wünsche näher gekommen. Er
duckt sich nieder, wie eine Katze schmiegt
er sich an den Boden, die Lunte zuckt,
die Augen starren wildgierig auf das
sorglose Kitzlein; er weißt die mörderi-
schen Reißer, hebt leise Fuß und Kopf
zu Sprung und Biß, — ein Moment
noch — ein Satz — da stürzt sich die
Mutter schnaubend auf den Räuber, mit
den Füßen ihn zerstampfend. Das Kälb-
chen ist gerettet. Reinecke kehrt hinkend
und zorngrimmig heim. Rache schwört
er dem Flüchtling, und wehe diesem,
wenn der Fuchs Gelegenheit findet, den
Schwur zu lösen!
3. Tritt die Sonne in das Zeichen des
Löwen, dann blüht dem Fuchs die gol-
dene Zeit. Auf den Feldern hangen die
Aehren schwer und gelb, ein unabsehlicher
Fruchtwald. Dahin zieht's den Fuchs.
Dort lagern Hase und Kaninchen, Reb-
huhn, Wachtel und Lerche, kleine Leut-
chen ohne Wehr und Waffen, die ein
behagliches Leben führen. Ach es wird
ihnen übel gehen! Der Verschlagene weiß
zu passen und zu fassen, zu kirren und
zu irren mit Strichen und Schlichen,
mit Blicken und Tücken. Er mordet bei
Tag und Nacht und seine Brut wird
feist und dreist. Zu seinem Nachtische
wünscht er Confect. Auch das findet
sich. Auf sonniger Heide winkt ihm das
Bienenhaus. Er erbricht es, schleckt die
würzigen Tropfen, und mag ihn das
ganze Jmmenheer zürnend umschwärmen,
er lacht ihres Stachels, lädt sie sich auf
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Iii. Geschichtsbilder.
Hierauf wurden auch mit Baden,
Württemberg, Bayern und Hes-
sendarmstadt Friedensverträge abge-
schlossen, nach welchen diese Staaten
den Bestimmungen des Nikolsburger
Friedens bezüglich der Neugestaltung der
Verhältnisse in Deutschland anerkennen,
zugleich auch Schutz- und Trutzbündnisse
mit Preußen abschließen und darin sich
verpflichten mußten, für den Fall eines
Krieges ihre Truppen unter den Ober-
befehl des Königs von Preußen zu stellen.
Somit hat der deutsche Bund zu
bestehen aufgehört. Das ehemalige
deutsche Reich ist politisch in drei Grup-
pen gespalten: in den norddeutschen
147. Gott in
In der That, es entdeckt ein irgend
aufmerksamer Blick den Gott in der
Geschichte noch leichter und unverkenn-
barer, als in der Natur. Wenn aus
allem, was die Menschen wollen und
dem sie mit allen Mitteln, über die sie
gebieten, entgegenstreben, nichts wird;
was sie nicht wollen aber sich erfüllt,
und es nun hinterher sich klar darstellt, daß
das, was sie gewollt, unvernünftig ge-
wesen ; was aber geworden, sich als das
Rechte erwiesen: dann ist es der Gott
in der Geschichte gewesen, der dieses so
geleitet hat. Wenn es Mittwinternacht
ist auf Erden und alle Pulse der Ge-
schichte stocken, und alles Leben in ihr
versiegen will, und nun mit einem mal
ein Frühlingshauch sie überweht und
die verlechzten Brunnen plötzlich über-
fließen wollen und eine unbegreifliche
Macht die Geister bindet, und sie hin-
führt oder hinstürmt, wo sie nicht hin
wollen: dann ist es der Gott in der
Geschichte, der es durch sie wehen und
darauf grünen und blühen läßt. Wenn
die Menschen nach der Titanen Art, Trotz
auf Trotz, Masse auf Masse, Gewalt
auf Gewalt anwälzend sich ein Riesen-
bild gebaut, es anzubeten, und nun
ein Sonnenstäubchen unvermerkt heran-
Bund, in die südwestdeutsche Staaten-
grnppe und in die deutsch-österreichischen
Landestheile.
Bei solcher Lage der Dinge mag
uns, die wir nicht ohne bange Besorg-
niß in die Zukunft schauen, die Hoff-
nung trösten, daß Gott, der ja stets
das Schlimme zum Guten zu lenken
weiß, auch unserem großen gemeinsamen
Vaterlande noch jenen Tag wird erscheinen
lassen, da alle deutschen Stämme in ge-
genseitiger Achtung ihres eigenthüm-
lichen Wesens und ihrer, wie ihrer Herr-
scher Rechte sich einträchtig die Hand
zum friedlich geeinten Bunde reichen
werden!
der Geschichte.,
schwebt, und im Schweden langsam
wachsend, hineinwächst in die Sichtbar-
keit, und wachsend und immer wachsend
Masse gewinnt und zum Steine wird,
und der Stein zum Felsen, der, an die
thönernen Füße des Kolosses anprallend,
ihn in Staub zermalmt: dann ist es der
Gott der Geschichte gewesen, der kein
Wohlgefallen an dem Götzenbilde ge-
funden und der verschwindenden Größen
sich bedient, um die sich blähende Klein-
heit zu zerstieben. Vor allem, wenn er
als Richter herniederkommt, um mit
Langmuth getragenem Frevel ein Ziel
zu setzen; wenn das Schwert der Boten
seines Zorns Hunderttausende wegmäht
wie Gras auf dem Anger, daß sie, die
noch einen Augenblick zuvor auf ihre
Zahl und Macht und Unüberwindlich-
keit gepocht, jetzt an der Erde liegen
und zu Heu erdörren: dann entsteht
wohl eine augenblickliche Stille unter
den Völkern, und das sonstige Getöse
der Geschichte schweigt eine kleine Zeit;
denn jene höhere Geschichte, die Gott aus
der Stille seiner Unsichtbarkeit heraus-
wirkt ist, jetzt ganz nahe an die Horchen-
den herangetreten, und die Geisternähe
erfüllt sie mit Schrecken und unwillkür-
licher Ehrfurcht.
1867 -
München
: Königl. Central-Schulbücher-Verl.
- Autor: Marschall, Georg Nicolaus
- Hrsg.: ,
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrerbuch
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten, Fortbildungsschule, Präparandenschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten, Niedere Lehranstalten, Lehrerbildungsanstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Gewerbeschule, Handelsschule, Landwirtschaftsschule, Präparandenanstalt, Mittelschule
- Regionen (OPAC): Bayern
159. Die Gemsen.
349
Wo längst die gut kletternde Alpen-
ziege nicht mehr hinsteigt, in die unzu-
gänglichsten Grasbetten der steilsten
Hörner, auf den fußbreiten Graszügen,
die bandartig sich von Felsküppen zu
Felsknppen schlingen, da weiden die
Gemsen, wie von der Natur bestimmt,
auch diesen verlornen Theil ihrer Pflan-
zengaben noch auszunutzen, behaglich
das dürftige, aber kräftige und nahr-
hafte Kraut der Alp und werden gegen
den Herbst hin sehr fett davon, — 60,
80 bis 100 Pfund; doch ist uns auch
ein Beispiel bekannt, wo ein glarner
Jäger an Tschingeln ein Thier schoß,
das 125 Pfund wog. Es war der große,
bei den Bergleuten berühmt gewordene
„Rufelibock", der während vieler Jahre
tief gegen das Thal herabgekommen war
und alle Jägerkünste verspottet hatte, bis
endlich der kluge Bläst noch gescheidter
war als der kluge Rufelibock. Die Som-
merkitzen dagegen werden bis zum Spät-
herbst bloß 15 bis 20 Pfund schwer.
Im Winter magern dann die Gemsen
wie alle Alpenthiere beträchtlich ab. Müh-
sam suchen sie unter den Tannen das
spärliche dürre Gras zusammen, wagen
sich oft an schneefreie Stellen in's Thal
an Quellen und fressen die langen, meer-
grünen Bartflechten, die von den Wetter-
tannen niederhangen, ab, wobei sich aber
hin und wieder eine mit den Hörnern in
den Aesten verwickelt, hängen bleibt und
verhungert.
Wie alle Wiederkäuer, lieben auch die
Gemsen das Salz in hohem Grade und
besuchen deßwegen besonders gern Kalk-
felsen, an denen sich Bittersalz findet, wo
sie sich oft so durstig lecken, daß sie wie
toll zum ersten besten Wasser laufen müssen,
um zu trinken.
3. Wie die meisten Thiere ihrer Art,
leben die Gemsen gesellschaftlich zu fünf,
zehn bis zwanzig Stück bei einander.
Früher waren Rudel von 60 Stück
keine große Seltenheit. Sie sind muntere,
zierliche, höchst kluge Thiere. Jede ihrer
Bewegungen verräth außerordentliche
Muskelkraft, Behendigkeit, Frische und
Grazie. Man muß sie selber gesehen
haben, um sich einen Begriff von ihrer
staunenswerthen Schnellkraft, von der
unbegreiflichen Sicherheit ihrer Bewe-
gungen und Sprünge machen Zu können.
Von einem Felsen zum andern setzen sie
über weite und tiefe Klüfte und halten
sich im Gleichgewicht auf kaum zu ent-
deckenden Unebenheiten, schnellen sich mit
den Hinterfüßen auf und erreichen sicher
den faustgroßen Absatz, dem sie festen
Auges zuspringen. Mit heraushängen-
den Eingeweiden oder auf bloß drei
Beinen fliegt die Gemse noch wie unver-
wundet über Fels und Eis. Ist sie stark
angeschossen, so sondert sie sich von der
Heerde ab, zieht sich zwischen verborgenes
Gestein zurück, leckt sich unaufhörlich und
wird leicht heil oder verendet in unersteig-
licher Kluft ohne Gewinn für den Jäger.
Ihr außerordentlich scharfer Geruch,
ihr Gesicht und feines Gehör schützt die
Gemsen vor vielen Gefahren. Wenn sie
truppenweise lagern, so stellen sie nach
tausendfach bestätigter Erfahrung eine
Wachtgemse (Vorthier, Vorgeiß) aus, eine
weibliche Gemse, die, während die Uebri-
gen weiden oder spielen und sich nach Art
der Ziegen und Hirsche mit den Hörnern
stoßen, in einiger Entfernung allein wei-
det, jeden Augenblick sich umsieht und
witternd die Nase in die Luft streckt.
Ahnt sie Gefahr, so pfeift sie wie die
Murmelthiere hell auf, und die Uebrigen
fliehen ihr nach. Nie verstellt sich eine
Gemse, d. h. bleibt unbehilflich und ret-
tungslos auf fast unzugänglichen! Fels-
vorsprunge stehen, wie oft die Ziegen,
die dann meckernd abwarten, bis der Hirt
mit eigener Lebensgefahr sie abholt. Die
Gemse wird eher sich zu Tode springen.
Es ist schwer, etwas Genaues und
Zuverlässiges über die wunderbare
Sprungkraft dieser herrlichen Thiere zu
sagen. Doch ist es sicher, daß sie über
16—18 Fuß breite Klüfte ohne Anstand
setzen und Sprünge in eine Tiefe von
24 Fuß und darüber wagen. Auf weichem
Schnee, wo sie tief einfallen, oder auf
klaren Gletschern gehen sie langsamer
und vorsichtiger, sind daher auch hier am
besten zu jagen. Selbst beim Ruhen strecken
sie sich nur sehr selten ganz platt auf dem
Boden aus; ihre gewöhnliche Haltung ist
zu augenblicklicher Flucht bereit. Sie
liegen auch gern in lichtem Gebüsch, um
sich sicherer zu verbergen; doch am liebsten
an einer Terrasse, wo der Rücken gedeckt
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- Autor: Marschall, Georg Nicolaus
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- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
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- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten, Fortbildungsschule, Präparandenschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten, Niedere Lehranstalten, Lehrerbildungsanstalten
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161. Der Elephant.
351
auf Raub aus; dann greift er frech den
Wanderer an, springt mit weit geöff-
netem Nachen an den Reiter auf. Vom
Heißhunger getrieben, schleicht er des
Nachts ans dem Walde, schwärmt um
die Wohnungen der Hirten, fällt über
die Gänse her, gräbt unter Thürschwellen,
bricht in den Stall und würgt Schafe und
Rinder. Dann achtet er nicht des nahen-
den Hirten, scheut nicht das Feuergewehr
und hält die Beute zwischen den Zähnen
fest, entweicht nur mit dieser oder erliegt
in seiner Raserei.
Bei strengem Winter rotten sich die
Wölfe zusammen; Heißhunger treibt sie
auf die freie Landstraße; heulend ver-
folgen sie den Schlitten; wie eine Woge
im Sturm schwingen sie wüthend sich
über den Flüchtenden; haben sie die
Beute zerrissen, verschlungen, dann Zer-
stäuben sie in die Wildniß.
Nur der Hunger macht den Tücki-
schen frech und spornt ihn zur blinden
Wuth. Wenn er gesättigt ist, ist er
feige, fürchtet das Horn das Ochsen und
des Pferdes Huf. Er zittert vor dem
Bären, der ihn zerdrückt und mit seiner
Tatze ans den ungelenken Rücken trifft;
er flieht vor dem Hunde, welcher ihn er-
jagt, überwindet, aber verächtlich einem
andern Wolfe zum Fraße überläßt. So
fein er im Erschleichen ist, so schnell im
Jagen, grausam und blind im Rauben,
so bleibt er dennoch feig und scheu. Eine
Geige macht ihn zittern und heulen, er
wagt nicht den Spieler anzugreifen; er
traut seiner Herrschaft, seinem Gebisse
nicht; darum wittert er überall Gefahr.
Thüren sind ihm verdächtig und ge-
spannte Stricke versperren ihm den Weg:
er setzt lieber über Hecken und Bäche
hinweg. Er fürchtet das Klirren einer
Kette; des Stahles Funken und ein
Pulverkorn jagen ihn davon.
Und doch zeigt der Feige stets sein
spitzes Gebiß, die langen Hakenzähne,
hält den tief gespaltenen Rachen immer
offen und reckt die lange Zunge weit
hervor. Sein aufgerichtetes Ohr erspürt
den Gang des Rehes; seine Nase wittert
die Hirsche von ferne her; das schiefe
kleine Auge schießt den tückischen, leuch-
tenden Blick; seine Sinne alle sind auf
den Fraß geschärft; der braun gewellte
Leib verhehlt ihn im dunkeln Gebüsch,
und wenn er auf dem Boden liegt.
Auf langen Füßen jagt er mit gestreck-
tem Leibe, mit buschigem, fliegendem
Schweife davon. Stark ist seine Brust;
doch die Klauen sind stumpf und liegen
fest; er steht auf schwachen, unsicheren
Füßen und ein Muthiger wirft ihn
leicht. Kann er dem Sieger entfliehen,
dann schleicht er scheu mit eingezogenem
Schwänze in das Dickicht.
Die Wölfin wirft ihre Jungen in
finsterer Schlucht; am Stamme eines
Baumes gräbt sie den Kessel. Sie jagt
nie in der Nähe ihres Lagers und ver-
birgt die Jungen vor der Gier des
Wolfes. Sie werden blind geboren,
aber mit scharfem Gebiß, und kaum
haben sie die Augen geöffnet, sind sie
auch schon lüstern nach Fleisch; in
wenigen Wochen fallen sie schon zankend
über die Hühner und über die Hasen
her, welche die Wölfin ihnen bringt.
So der Wolf, der Verwandte des
Hundes. Doch läßt er sich zähmen;
gibt man ihm nur Schafe genug und
Prügel zur rechten Zeit, so versöhnt er
sich mit dem Hunde, lernt Sprünge,
Spiele und sogar das Tanzen.
161. Der Elephant.
Mitten in Ceylon und ^Sumatra,
wo Palmen, Bananen und Zimmet-
bäume in mächtigen Wäldern von den
Bergen in die Ebenen sich ausbreiten,
dort ist die Heimat des Elephanten. In
zahlreichen Heerden durchstreift er die
duftende Wildniß, das Reich, welches
ihm angehört. Im tiefsten Schatten, am
Ufer der Flüsse,' fliegt er mit ausge-
streckten Beinen und badet sich in den
Wellen. Er weidet die schmackhaften
Kräuter, bricht die Zweige von den
Bäumen, die süßen Früchte und erlabt
sich an dem Wohlgeruch der Blumen.
Und wo er in Heerden zieht, tritt er die
Büsche in den Boden und wirft die
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352
Iv. Naturbilder.
jungen Bäume zur Seite; dennoch ver-
mag er die Wälder nicht zu verwüsten
und zu lichten. Die Heerde ist nicht
gefürchtet, friedlich bleibt sie in ihrem
Waldbezirk; nur einzelne, ausgestoßen
aus der Gesellschaft, stürzen wüthend
hervor in die Gärten, zerstampften Reis-
felder und Zuckerrohr, reißen die Palmen
aus dem Boden und zertreten die nie-
deren Hütten der Malapen. Aber dieser
grinimige Feind fängt sich in Schlingen;
er fällt in Gruben, welche der Mensch
ihm gräbt. Dieser dringt in die Wälder
und sucht in ihrer Heimat die Heerde
auf. Sie wird umgangen, mit einem
Kranze heller Flammen umstellt. Fackeln
werden ihr von allen Seiten her ent-
gegengetragen; tausend fremde Stimmen
ängstigen sie, schweben wie Gespenster
über ihr und um sie her, wohin sie sich
auch wenden mag. Da zieht sich immer
enger der Zauberkreis unter Jauchzen und
Trompetenschmettern: feurige Schlangen
fahren ihr aus der Mündung des Ge-
schützes brüllend entgegen. Raketen stei-
gen zu den schwarzen Gewölben der
Bäume empor, schütteln den feurigen
Regen donnernd über die Aeste nieder,
Blätter glänzen, Blumen erbleichen. Da
fliehen die Elephanten dicht gedrängt, die
Rüssel in die Höhe gehoben, die großen
Ohren ausgestreckt, wo der Weg ihnen
offen gelassen. Ihre Augen glühen; mit
den Füßen stampfen sie den Boden. Aeste
krachen, Bäume stürzen, die Erde erzittert.
Und wie vom Sturm gepeischt, wälzt
sich in dunkeln, tosenden Wogen die
Heerde und stürzt in die Umzäunung.
Da bricht der Morgen an, die Kolosse,
eingeschlossen, treffen in ohnmächtiger
Wuth gegen die Stämme, die ihnen den
Weg versperren. Von hohen und sicheren
Gerüsten schaut man auf sie hinab. Da
wird das Thor geöffnet, ein Elephant
drängt sich hindurch; aber hinter ihm
schieben sich die Balken vor. Er ist im
engen Raume gefangen. Der Schall der
Trompete schmettert in sein Ohr. Die
Jäger nahen, wie er auch toben mag, sie
fesseln seine stämmigen Glieder und wer-
fen ihm die Schlinge um den Hals. Run
treten die Seelenverkäufer, seine Brüder,
ihm zur Seite, sie halten ihm den Rüssel,
der wird an seine eigenen Zähne festge-
bunden; sie bändigen, sie züchtigen ihn,
bis er gedemüthigt ihnen folgt.
Der mächtige Riese steht, ein leben-
diger Felsblock aus der Urwelt, da.
Er hält das große Haupt gesenkt, als
sei der Jubel seiner Ueberwinder ihm
Hohn und als schäme er sich; denn er
ist eine Mißgestalt, mit seinem Leib auf
Säulenfüßen, wie auf Stämmen mit
borkiger Rinde; in dem dicken, runzligen
Fell mit einzelnen Haaren besetzt; mit
seinem kleinen borstigen Schwanz. Sein
Haupt, wenig beweglich, zeigt die hohe
Stirn, das kleine Auge und voll Runzeln
die bewimperten Lider. Eine Mißgestalt
ist er mit den breiten, hängenden Ohren,
die spitze Unterlippe, die gekrümmten
Vorderzähne, Sparren gleich hervor-
stehend, und mit dem Rüssel, der zwi-
schen ihnen niederhängt; dieser ist einer
Schlange gleich, mit zwei Röhren, an
deren Oeffnung ein Finger. Und den-
noch ist der Elephant ein edles Wesen
und wie durch Zauber verwandelt; mensch-
licher Verstand wohnt in ihm, und sein
Auge zeigt den klaren, klugen Blick. Und
der Rüssel ist sein Arm, er kann ihn
strecken und einziehen und überall hin-
wenden und biegen. Er ist ihm eine
Hand, womit er tastet, womit er die
Knoten löst, Blumen pflückt, Aeste bricht
und Bäume ausreißt. Er zieht den
Pfropf aus der Flasche, gießt den Wein
in seinen Rüssel; der ist sein Trinkhorn,
das leert er in den Mund. Durch den
Rüssel athmet er, läßt seine Stimme
wie eine Trompete ertönen und fordert
sich selber zum Kampfe auf. Aber auch
Streitkolbe und Waffe ist er ihm, wo-
mit er den Tiger packt, ihn schüttelt,
ihn zerschmettert und unter die Füße
wirft. So schwer der Elephant auch
ist, dennoch bewegt er sich stets und
leicht, ist immer wachsam, achtet auf
jedes Geräusch, hat den Blick auf weite
Ferne hin und schläft wenige Stunden.
Langsam wächst er und zählt Jahr-
hunderte. Aus seinen Wäldern ent-
führt, unterwirft er sich dem Menschen.
Ein halbes Jahr vergeht, und er ist
gehorsam dem Winke seines Herrn ge-
worden und hält das Auge auf ihn ge-
richtet. Er streckt seinem Führer den
Rüssel dar und hebt ihn damit auf den
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162. Die Vögel im Winter.
353
Nacken. Mit Worten lenkt ihn der
Führer, sagt ihm die Tritte vor, mit
dem Stachel straft er, mit einer Flasche
Wein belohnt er ihn. Er legt sich nie-
der auf Befehl seines Herrn, erhebt sich
auf Befehl, grüßt und biegt das Knie.
Auf Geberden, Winke, Worte achtet er.
Er geht sichern Schrittes, legt den Stein
zur Seite, der im Wege liegt und weicht
dem Kinde aus, das ihm begegnet. Be-
hutsam verrichtet er und getreu jede
Arbeit, welche man ihm anweist. Er
ladet sich selber die Lasten auf und wie-
der ab, bringt die Ballen zum Strande
und schleppt die Balken dem Bauplatze
zu. Ueberladet man ihn, so bläht er
sich auf und zerreißt die Stricke. Gibt
man ihm seinen Lohn nicht, so weiß er
sich zu rächen.
So ist der Elephant ein verständiger
Arbeiter; aber auch ein furchtbarer Krie-
ger ist er. Hunderte jagt er vor sich
hin, zerschmettert sie mit seinen Waf-
fen, zertritt sie mit den Füßen und
von seinem Rücken senden die Strei-
ter das Geschoß unter die Feinde. Aber
in Wuth versetzt kennt er auch die Freunde
nicht mehr und kann nimmer gebändigt
und geleitet werden.
Mit seinem Herrn geht der Elephant
auf die Jagd, dem Tiger entgegen, wie
162. Die Vö
1. Während wir unsere Pelze und
Winterkleider hervorsuchen, ziehen sich die
Bäume und Blumen aus und geben sich
kaltblütig dem beißenden Winter preis.
Die entkleideten Zweige, Stengel und
Aeste aber überlassen sich dem Schlaf,
hüllen sich wohl auch zeitweise in Reif-
röcke und Schneepelze. Da können sie's
wohl aushalten, bis der Frühling wieder
neues Leben bringt und auf's Neue Blät-
ter und Blumen hervorruft. Aber was
fangen die beschwingten Blumen, die
Vögel, während des Winters an? Wie
jubilirte und zwitscherte und flattete es
im Wald und Garten an sonnigen, war-
men, duftigen Junimorgen! Und wie
traurig schweigsam ist es jetzt zwischen
den öden Zweigen, aus denen hie und da
Marschäll, Lcsebuch.
zu einem Feste. Mit dem Purpurteppich
und in bunter Malerei, mit spiegelnden
Blechen Rüssel und Stirn verziert; seine
Zähne in Gold- und Silberspangen ge-
faßt, mit funkelnden Steinen, mit hell-
tönenden Glocken behängen. Auf dem
Rücken trägt er die glänzende Sänfte
mit dem Nabob. Der Elephant scheint
stolz auf seine Last und seinen Schmuck,
als sei er selber der Herr.
Aber er wird als Herr geehrt, wenn
ihn die Natur in weißes Gewand ge-
kleidet hat. Dem Jäger, welcher ihm
zuerst begegnet, wird eine silberne Krone
zu Theil. An den Hof von Siam wird
der Elephant geführt, dort wohnt er,
frei von jeder Arbeit, in prachtvollen
Palästen, in prunkenden Gemächern. Er
wird mit blitzenden Juwelen und Gold
überdeckt; Blumenteppiche werden zu sei-
nen Füßen ausgebreitet. Ihm nahen
unterthänig die Großen des Reiches,
reichen ihm köstliche Früchte in goldenen
Gefäßen dar und feurige Weine. Sie
besprengen ihn mit Rosenöl und er-
heitern ihn durch klingende Musik. Vor
ihm, dem Gebieter, kniet Alles nieder
und sieht mit dem Angesicht gegen die
Erde; denn eine königliche Seele wohnt
in ihm.
kl im Winter.
ein enthülltes Nest schutzlos im Wind
und Wetter schwankt! Wo sind nun die
kleinen und munteren Vögelein hinge-
kommen? Wir wissen wohl, viele Vögel
ziehen davon und sehen niemals den
Winter mit seinen entlaubten Bäumen
und seinem Barte von Eiszapfen. Aber
die meisten müssen doch zu Hause bleiben,
da sie keine Mittel zum Reisen haben.
Wie bringen diese den Winter hinter
sich, ohne Winterkleider, ohne Vorraths-
keller, ohne Holz und Torf und Ofen?
Aber so schlimm ist's gar nicht, daß sie
ohne Schutz vor Kälte, ohne Speisekam-
mer sich durchhelfen müßten, wie man oft
meint. Sie haben gar manchfaltige Fut-
termagazine und gehen wärmer angezogen
als mancher Herr in seinem Winterpelz.
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